Kulturpreisträgerinnen und Kulturpreisträger des Deutschen Gehörlosen-Bundes
von 1993 bis 2012
Kultur wird geschaffen durch die Mitglieder einer Gemeinschaft. Unsere Kulturpreisträger haben sich in besonderer Weise für die Gebärdensprache und die Gehörlosenkultur eingesetzt. Für ihr außergewöhnliches Engagement zum Wohl unserer Gebärdensprachgemeinschaft sind wir ihnen sehr dankbar.
1. Deutsche Kulturtage 1993 in Hamburg
Bei den 1. Deutschen Kulturtagen wurde Friedrich Waldow mit dem Kulturpreis geehrt. Friedrich Waldow wurde 1915 in Stettin geboren. Er war der erste Schriftleiter der neu gegründeten Deutschen Gehörlosenzeitung (DGZ) und wurde später auch der Herausgeber der DGZ. Besonders lag ihm der Gehörlosensport am Herzen. Viele Jahre lang war er zunächst der Geschäftsführer des Deutschen Gehörlosen-Sportverbandes (DGS), dann der Präsident des DGS. Außerdem war er der 1. Vizepräsident des CISS. Er verstarb 2013 in Essen.
Der Pfarrer Heinz Weithaas bekam den zweiten Preis des Abends. Er machte Konfirmandenunterricht für Gehörlose und entwickelte einen gebärdeten, liturgischen Gottesdienstablauf. Heinz Weithaas arbeitete auch als Gehörlosenseelsorger. Eine außergewöhnliche Aufgabe hatte er in der Zeit der friedlichen Revolution im Herbst 1989 bei den Montagsgebeten in der Nicolaikirche in Leipzig. Dort dolmetschte er die Gottesdienste in Gebärdensprache.
Den Sonderpreis erhielt Gerhard Schatzdorfer. Lange Zeit war er der Hauptautor von „Sehen statt Hören“ vom Bayerischen Rundfunk, der einzigen Sendung in Deutschland, die sich regelmäßig mit wichtigen Themen für gehörlose und schwerhörige Zuschauer beschäftigt. Von 2002 bis zu seinem Ruhestand 2014 war Gerhard Schatzdorfer leitender Redakteur der Sendung.
2. Deutsche Kulturtage 1997 in Dresden
Der Künstler David Ludwig Bloch bekam einen Kulturpreis bei den 2. Kulturtagen. Er war Porzellanmaler, Maler und Grafiker. 1910 wurde David Ludwig Bloch in Floß geboren. Wegen seiner jüdischen Herkunft wurde er nach den Novemberpogromen von den Nationalsozialisten nach Dachau ins Konzentrationslager gebracht. 1940 konnte er jedoch nach Shanghai ausreisen und lebte später in New York/USA. Nachdem er 1976 eine Reise nach Deutschland gemacht hatte, verarbeitete er besonders den Holocaust in seiner Kunst. 2002 starb David Ludwig Bloch in Barrytown (New York)/USA.
Der nächste Kulturpreis der 2. Kulturtage ging an eine ganze Gruppe: Siegmund Prillwitz (Sprachwissenschaftler und Begründer des Instituts für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser der Universität Hamburg) und seine Mitarbeiter Alexander von Meyenn (Lektor an der Universität Hamburg), Heiko Zienert (1. DGS-Dozent in Deutschland), Wolfgang Schmidt (Sozialpädagoge an der Hamburger Gehörlosenschule in Hamburg) sowie Regina Leven (Gebärdensprachdolmetscherin) und Bernd Rehling (Gründer von Taubenschlag.de). Sie waren die ersten Gebärdensprach-Forscher Deutschlands. Sie entdeckten die eigenständige Struktur und Grammatik der Deutschen Gebärdensprache, prägten den Begriff DGS und steigerten somit das Selbstbewusstsein der Gehörlosen.
Die Regisseurin und Drehbuchautorin Caroline Link erhielt an diesem Abend den Sonderpreis. 1996 kam ihr Spielfilm „Jenseits der Stille“ in die Kinos. Es war eine großartige Öffentlichkeitsarbeit für die Gebärdensprache und die Gehörlosenkultur. Der sehr erfolgreiche Film wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit zwei Deutschen Filmpreisen, und für einen Oscar nominiert.
3. Deutsche Kulturtage 2001 in München
Den ersten Preis der 3. Deutschen Kulturtage der Gehörlosen wurde Gertrud Mally überreicht. Die Münchnerin war die erste Gehörlose in Deutschland, die Gebärdensprache an der Volkshochschule unterrichtete. Außerdem erstellte sie die Buch- und Videoreihe „Münchner Dialekt“. 1984 organisierte sie das erste Kommunikationsforum (Kofo) in Deutschland. Dort wurden Vorträge gehalten, Diskussionen geführt und das Selbstbewusstsein der Gehörlosen gestärkt. Zusammen mit anderen Gehörlosen und Hörenden gründete Gertrud Mally ein Jahr später auch die Zeitschrift „Selbstbewusst werden“.
Gunter Trube (geb. Gunter Puttrich-Reignard) durfte sich ebenfalls über einen Preis freuen. Er wurde 1960 in München geboren, lebte jedoch lange in Hamburg und Berlin. Unter anderem nahm er als Spitzensportler an den Weltspielen der Gehörlosen teil und war in der Theaterwelt sehr aktiv. Besonders setzte er sich für homosexuelle Gehörlose ein und klärte über Aids auf, zum Beispiel mit einer Aids-Broschüre. Er selbst gewann den Wettbewerb „The best Drag Queen of the Deaf“. Er führte die Gebärdensprachpoesie in Deutschland ein. 2008 verstarb Gunter Puttrich-Reignard in Berlin.
Im Jahr 2003 wurde der 1940 geborene SPD-Politiker Karl Hermann Haack mit dem Kulturpreis ausgezeichnet. Von 1998 bis 2005 war er Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen. Er setzte sich für die Entwicklung des Sozialgesetzbuchs IX und des Bundesgleichstellungsgesetzes ein, unter anderem auch für die Anerkennung der Gebärdensprache. Von 2005 bis 2009 war er Präsident des Deutschen Behindertensportverbands (DBS).
4. Deutsche Kulturtage 2008 in Köln
Ein Kulturpreis ging in diesem Jahr an Prof. Dr. Ulrich Hase. Er ist gelernter Jurist und Sonderpädagoge. Von 1989 bis 1999 war er der Präsident des Deutschen Gehörlosen-Bundes. Vor allem trieb er den Kampf für die Anerkennung der Gebärdensprache an und setzte sich für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen für Gehörlose ein. Aktuell ist er als Landesbeauftragter für Menschen mit Behinderung in Schleswig-Holstein tätig. Er ist Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft der Hörgeschädigten - Selbsthilfe und Fachverbände e. V. und Ehrenpräsident des Deutschen Gehörlosen-Bundes e.V.
Auch der Historiker Jochen Muhs gewann einen Kulturpreis. Er lebte von 1942 bis 2010. Jochen Muhs setzte sich im Sport, in der Kulturpolitik und der Deaf History ein und förderte so die Gehörlosenkultur. Unter anderem veranstaltete er Gebärdensprach-Festivals, hielt Vorträge und gründete 1996 die Interessengruppe Deaf History Deutschland, die sich 2001 mit der heutigen Bundesvereinigung für Kultur und Geschichte Gehörloser (KuGG) zusammenschloss.
Dieter Fricke war der nächste Preisträger der 4. Kulturtage. Er wurde 1943 in Borken geboren und war seit 1966 als Künstler tätig. Künstlerisch beschäftigte er sich vorrangig mit Motiven aus der Welt der Gehörlosen und schuf Skulpturen, Fotografien, Videos, Radierungen und andere Werke. Auf diese Weise hat er seine Gebärdensprachabstraktionen entwickeln können.
Der Pantomime und Schauspieler Kurt Eisenblätter wurde ebenfalls mit dem Kulturpreis ausgezeichnet. 1929 wurde er in Berlin geboren. Er war für 10 Jahre Mitglied des Deutschen Gehörlosentheaters (DGT) in Dortmund und gründete die Berliner Laienspielgruppe in Ost-Berlin. Mit dieser Gruppe trat er bei einigen Weltkongressen der Gehörlosen auf und feierte viele internationale Erfolge. Später entwickelte sich die Gruppe zum Pantomimen-Ensemble, mit der Kurt Eisenblätter den Jean G. Deburau Preis gewann. Er verstarb 2017 in Berlin.
Auch Volkmar Jaeger, der 1928 in Leipzig geboren wurde, erhielt den Preis für sein Engagement für die Gehörlosenkultur. Der Fotograf arbeitete bis zum Mauerbau mit den Gruppen „action fotografie“ und „gruppe“. Er fotografierte die Leipziger Montagsdemonstrationen im Herbst 1989 und organisierte Ausstellungen, zum Beispiel auf dem Internationalen Foto- und Filmfestival der Gehörlosen in Bulgarien und dem Deutschen Kunstfestival der Gehörlosen.
Der Maler und Restaurator Albert Fischer, der sich Fise nannte, lebte von 1940 bis 2003. Posthum wurde er mit dem Kulturpreis geehrt. Er war ein Mitglied der Künstlervereinigung Fürstenfeldbruck und stellte seine Werke in ganz Deutschland aus. Albert Fischer kämpfte aber auch politisch für die Selbstbestimmung der Gehörlosen, indem er beispielsweise Zeitungsartikel verfasste und an Podiumsdiskussionen teilnahm.
5. Deutsche Kulturtage 2012 in Erfurt
Liisa Kauppinen wirkte in der Zeit von 2002-2006 entscheidend bei der Erarbeitung der UN-Behindertenrechtskonvention mit. Dafür erhielt sie als erste Gehörlose überhaupt den UN-Menschenrechtspreis. Viele Jahre arbeitete sie bei der World Federation of the Deaf (WFD), zuerst als Generalsekretärin und dann als Präsidentin. Heute ist sie Ehrenpräsidentin des Weltverbandes. Zudem war sie lange Zeit die geschäftsführende Direktorin des Finnischen Gehörlosenbundes.
Gerlinde Gerkens, die Präsidentin des DGB von 1999 bis 2005 und heutige Ehrenpräsidentin des DGB, erhielt ebenfalls einen Kulturpreis. Sie wurde 1945 in Hamm geboren. Sie engagierte sich auch im Gehörlosen-Verband Schleswig-Holstein und in der Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der Hörgeschädigten im Großraum Kiel. Sie setzte sich besonders für die Anerkennung der DGS und für Chancengleichheit gehörloser Frauen in Gesellschaft und Politik ein, aber auch für die Deutsche Gehörlosen-Jugend (DGJ) und das Deutsche Gehörlosen-Theater (DGT).
Den dritten Preis der 5. Kulturtage erhielt Käthe George. Sie wurde 1934 in Bremen geboren und war jahrelang Spitzensportlerin. Viele Jahre lang war sie Präsidiumsmitglied im DGB. Sie förderte kräftig die Entwicklung der Gebärdensprachlehre und leitete jahrelang die Bundesarbeitsgemeinschaft, die später zum heutigen Bundesverband der Dozenten für Gebärdensprache wurde. Heute ist sie Ehrenmitglied des Deutschen Gehörlosen-Sportverbandes und des Deutschen Gehörlosen-Bundes.